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Gottesdienst zum Welttag der Kranken - Samstag, 11. Februar 2006
Gedanken zum Psalm 139

Habt Mut, ich bin da!


Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich.
Welches Interesse hast du an mir?
Ich fühle mich schwach und gebrechlich.
Oft kann ich mich kaum bewegen.
Der Alltag strengt mich an.
Immer wieder stellt sich mir die Frage,
warum das Leben nicht mehr so ist wie früher…

Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir.

Du kennst meine Zweifel. Oft bin ich ganz durcheinander. Meiner Umgebung mache ich Mühe
Gewiss ist es nicht leicht, mich zu ertragen.
Warum ist ein „hohes“ Alter nicht auch ein „schönes“ Alter?

Von fern erkennst du meine Gedanken.

Ich denke an die Jahre zurück,
an denen ich es nicht erwarten konnte,
älter zu sein.
Immer war ich zu jung,
in der Schule, im Beruf,
in der Ehe, in der Familie.
Ich konnte es nicht erwarten, älter zu werden.
Nun bin ich alt und will es nicht sein.

Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt;
du bist vertraut mit all meinen Wegen.

Du kennst meinen Weg bis zu dieser Stunde.
Du weißt, wie es mit mir weitergeht.
Du kennst den Zeitpunkt,
an dem mein zeitliches Leben zu Ende geht
und die Ewigkeit beginnt.

Noch liegt mir das Wort nicht auf der Zunge –
Du, Herr, kennst es bereits.

Viele Worte rede ich im Laufe eines Tages:
Mit mir selbst,
über den Nachbarn,
ohne viel zu denken.
Wie viele Worte spreche ich mit dir, Herr?
Du hast mir die Möglichkeit gegeben
zu loben, zu danken, zu klagen und zu bitten.
Erinnere mich, dass ich für meine Worte
Verantwortung trage!

Du umschließt mich von allen Seiten
und legst deine Hand auf mich.

Dies tröstet mich.
Du bist wie ein Dach, das Schutz bietet.
Du behütest mich. Niemand kann mir etwas anhaben.
Von keiner Seite kann mir etwas geschehen.

Zu wunderbar ist für ich dieses Wissen,
zu hoch, ich kann es nicht begreifen.


Du hältst mich in deinen Händen.
Geborenwerden und Sterben
sind umschlossen von deiner Liebe.
Gesundsein und Kranksein
sind behütet von deiner Nähe.
Altwerden und Altsein
sind getragen von deiner Treue.
Mir fällt es schwer, all das zu glauben.

Wohin könnte ich fliehen vor deinem Geist,
wohin mich vor deinem Angesicht flüchten?
Steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort;
bette ich mich in der Unterwelt, bist zu zugegen.

So viel Güte, so viel Geborgenheit –
Mir wird Angst, du könntest mich erdrücken.
Ich möchte weglaufen.
Dir, Herr kann ich aber nicht entfliehen.
Du bist da. Du kennst mich.
Du weißt, dass ich mich vor dir fürchte.
Du weißt auch, dass ich mich nach dir sehne.

Nehme ich die Flügel des Morgenrots
und lasse mich nieder am äußersten Meer,
auch dort wird deine Hand mich ergreifen
und deine Rechte mich fassen.


Deinen Blick – ertrage ich ihn?
Verstehe ich, dass er Liebe bedeutet?
Deine Hand – halte ich sie aus?
Weiß ich, dass sie Sicherheit bedeutet?
Lass mich dich aushalten, Herr!
Ich halte mich dir hin.
Du bist mein Gott.

Würde ich sagen: „Finsternis soll mich bedecken,
statt Licht soll Nacht mich umgeben“ –
auch die Finsternis wäre für dich nicht finster,
die Nacht würde leuchten wie der Tag,
die Finsternis wäre wie Licht.

Ich bin ganz durcheinander.
Ich kenne mich nicht mehr.
Niemand kennt mich,
denn ich habe viel Gesichter.
Ich bin ein anderer in meinen Wünschen,
ein anderer in meiner Selbsteinschätzung,
ein anderer in den Augen derer,
die mich mögen,
ein anderer in den Augen derer,
die mich ablehnen.
Ich bin verwirrt.
Niemand versteht mich.
Bedeute ich noch jemandem etwas?
Und dir?

Du hast mein Inneres geschaffen,
mich gewoben im Schoß meiner Mutter.
Ich danke dir, dass du mich so wunderbar
gestaltet hast.
Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.
Als ich geformt wurde im Dunkeln,
kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde,
waren meine Glieder dir nicht verborgen.
Deine Augen sahen, wie ich entstand,
in deinem Buch war schon alles verzeichnet;
meine Tage waren schon gebildet,
als noch keiner von ihnen da war
.

Du hast mich begleitet:
Als ich in den Armen meiner Mutter lag,
als ich zur Schule kam,
als ich mich von dir abwandte,
als ich die Ehe schloss,
als meine Kinder geboren wurden,
als die Jahre vergingen.
Im Unglück schrie ich nach dir.
In der Einsamkeit suchte ich nach deiner Hand.
Ich erinnerte mich an den Glauben
meiner Kindheit.
Der Glaube an dich soll mich auch im Alter tragen.

 

Wir schwierig sind für mich, o Gott,
deine Gedanken,
wie gewaltig ist ihre Zahl!
Wollte ich sie zählen, es wären mehr als der Sand.
Käme ich bis zum Ende,
wäre ich noch immer bei dir.


Habt Mut, ihr Älterwerdenden,
ihr Alten, ihr ganz Alten, ihr Kranken,
die ihr euch alleine fühlt,
ausgenutzt, abgeschoben,
vergessen und einsam.
Habt Mut! Ich bin mit euch.
Meine Gedanken sind nicht die Gedanken der Menschen,
meine Wege sind nicht eure Wege.
Eurem Leben, wie immer es ist, gebe ich Sinn.
Ich habe euch geschaffen,
ich bin eure Zukunft.
Habt Mut, ich bin da!

Edeltraud Herrmann, Gemeindeassistentin