Geistliche Impulse


Mariä Lichtmess

Bildbetrachtung - Simeon im Tempel
zum Fest "Darstellung des Herrn" (Mariä Lichtmess)
von Gemeindereferentin Edeltraud Herrmann
Liebe Gemeinde,
was sehen Sie, wenn Sie dieses Bild betrachten?
Zwei fromme Alte vielleicht, die in unerschütterlicher Ausdauer die Hoffnung nie aufgegeben haben und die deshalb von Gott belohnt werden? Sie dürfen den so lange und so sehnsüchtig erwarteten Messias, den Heiland der Welt, endlich sehen; auch wenn die spannende Frage, woran sie ihn denn erkennen sollen, gar nicht behandelt wird. Das ist ganz nebensächlich und versteht sich von selbst. Und jetzt, wo sie ihn gesehen und erkannt haben, da werden aus den beiden überglückliche Menschen.
Richten wir unseren Blick zunächst auf Simeon. Legen wir uns nicht viel zu schnell ein recht frommes Bild von ihm zurecht? Vielleicht war es ja eher so, dass Simeon ein enttäuschter Greis war, der das Feuer seiner Jugend verloren hatte. Als junger Mensch kann man schnell für etwas begeistert sein. Bei Simeon war es vielleicht die Idee eines starken Anführers, der die römische Besatzungsmacht aus dem Land vertreibt, der für klare Verhältnisse sorgt und durchgreift, der Recht und Ordnung und Frieden bringt. Solche Vorstellungen waren in Israel damals weit verbreitet. Simeon konnte sich dann auf die großartigen Texte des Alten Testaments berufen, die einen Messias, einen neuen David versprechen. Wie anders ist es aber dann geworden…

Vielleicht war Simeon weniger jemand, der in stiller Ergebenheit abrufbereit auf die Stimme Gottes wartete, als vielmehr einer, der in seinen Vorstellungen gefangen war, der nur glauben konnte und glauben wollte, was damals als vernünftig, als realistisch galt. Vielleicht wird so die große Finsternis erklärbar, in die hinein Rembrandt die Begegnung zwischen dem alten Simeon und dem Jesuskind gemalt hat. Es ist wie eine Momentaufnahme, eine Szene aus dem Evangelium, die Rembrandt im Bild festgehalten hat…
Man muss sich nur einmal vor Augen halten, was das für Simeon bedeuten muss, dass er nun ein Kind in Händen hält. Größer kann der Unterschied zu den damals gängigen Vorstellungen, vielleicht auch zu seinen eigenen Überzeugungen nicht gewesen sein, die ja alle von den alttestamentlichen Verheißungen genährt waren. Da hat Simeon einen wunderbaren Ratgeber, einen Fürst des Friedens, einen starken Gott erwartet, und nun hält er einen Säugling auf den Armen, der selbst hilflos ist. Was für ein Unterschied! Was für ein Unterschied zu dem, was er erwartet hatte! Das will etwas heißen.
Das ist selber eine Botschaft. Eine Botschaft auch für alle so genannten Realisten unter uns, die nur glauben können, was sie sehen. Jetzt ist etwas zum Sehen da. Nur, damit wird der Glaube nicht leichter, sondern schwerer gemacht. Ausgerechnet dieses Kind soll mehr sein als alle anderen Menschen?
Dieses Kind ist der Heiland der Welt; dieses Kind soll genügen, um getrost leben und sterben zu können, wie Simeon. Menschen, die Gott ernst nehmen und ihr Leben im Vertrauen auf Gott leben, werden ja leicht als Menschen belächelt, die den Realitäten dieser Welt nicht ins Auge sehen können. Aber das Gegenteil ist der Fall. Menschen, die an Gott glauben, sehen mehr, denn sie erkennen auch, dass in diesem Menschenkind Gott selbst Mensch geworden ist.

Diese Erkenntnis gewinnen wir allerdings nicht aus eigenem Vermögen. Auch bei Simeon war es so: Dass er erkennen und Gott loben kann, dazu muss erst noch etwas geschehen. Dazu lässt Rembrandt alles Licht von dem Christuskind ausgehen, das später einmal von sich sagen wird: Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern er wird das Licht des Lebens haben. Das Licht geht von Christus aus, er ist das Licht, um die Heiden zu erleuchten – wie Simeon sagt. Jesus Christus wird mitten hinein in die Dunkelheit dieser Welt als ein Licht geboren. Und Simeon ist in dieses Licht mit hinein genommen, und aufgrund dieses Lichts erkennt Simeon in diesem Kind den Heiland der Welt. Und Simeon beginnt nun selbst zu leuchten.
Wichtig ist allein, dass wir Menschen im Licht Gottes leben, uns unser Leben von Gottes Licht durchleuchten und erhellen lassen. Das ist freilich auch nicht nur schön und leicht, denn im Licht werden nun mal auch die Dinge sichtbar, die in der Finsternis unerkannt geblieben sind.

Wo Christus in mein Leben hineinkommt, da wird es hell. Für mich und auch für andere.
Simeon wiegt das Kind zärtlich auf seinen Oberarmen. Die Hände greifen dagegen weiter, sie sind wie zum Gebet gefaltet. Simeon hält dieses Kind nicht nur in seinen Armen, er hält dieses Kind auch uns hin, damit auch wir in dieses Licht mit hineingenommen werden, damit wir es sehen und nicht mehr an ihm vorbeikommen. Gott macht sich bemerkbar und kommt in unsere Welt.
Aber Gott hat mit seinem Kommen in unsere Welt sehr viel Widerspruch erfahren – das hat Simeon vorausgeahnt. Christus wird zu einem Zeichen, dem widersprochen wird – sagt Simeon. Gott kommt in diese Welt, aber das Kommen Gottes ruft Widerspruch hervor, denn es stellt uns und unsere bisherigen Sehgewohnheiten in Frage. Wie schon ein Menschenkind, das in eine Familie hineingeboren wird, im Mittelpunkt steht und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, so erst recht das Christuskind. Wir halten so etwas leicht für verrückt und meinen, man dürfe es doch nicht so übertreiben mit dem Glauben. Als ob Gott wirklich der einzige Mittelpunkt meines Lebens sein könnte; wo bliebe denn mein Leben, wenn sich alles nur um Gott drehte? Aber so denkt Simeon nicht und fordert auch uns damit zum Umdenken auf.
Gott gehört in die Mitte – und genau das zeigt auch unser Bild. Hier ist nichts anderes mehr wichtig, hier fordert das Christuskind unsere ganze Aufmerksamkeit. Es ist eine geradezu intime Situation, die Rembrandt hier darstellt. Was muss sich in diesem Augenblick in Simeons Herzen abgespielt haben? Rembrandt gibt uns einen kleinen behutsamen Einblick in das Herz Simeons. Der Mund ist zum Staunen geöffnet. Die Augen sind halb geschlossen und scheinen in eine falsche Richtung zu blicken – Rembrandt hat sich den greisen Simeon wohl blind vorgestellt, auch wenn im Evangelium nicht davon die Rede ist. Darin mag eine tiefere Wahrheit liegen: Simeon darf den Messias Gottes mit eigenen Augen sehen und kann ihn doch nicht sehen. Aber, dass Simeon den Christus nicht mehr mit den eigenen Augen sehen kann, das heißt ja nicht, dass er nicht da ist. Vielleicht hat Rembrandt mit diesem blinden Simeon an all diejenigen Menschen gedacht, die das Christuskind auch nicht mehr mit ihren eigenen Augen sehen können. Es ist, als ob Rembrandt sagen wollte, dass es gar nicht auf das Sehen mit unseren Augen ankommt, sondern auf ein anderes Sehen, auf das Sehen mit unseren Herzen, dass wir wie Simeon von diesem Christuskind bewegt werden und es in unser Leben hineinnehmen.
Simeon ist ein Mensch, der an das Ziel seines Leben gelangt ist und der weiß: Nun kann ich in Frieden gehen. In der Begegnung mit Christus kommt das Leben des greisen Simeon zum Ziel. Am Ende ist es nicht Simeon, der das Christuskind ergriffen hat, sondern am Ende ist Simeon der Ergriffene. Er ist der Sehende, für den in diesem Kind die Gegenwart Gottes sichtbar und zur Mitte seines Lebens wird.
Die biblische Erzählung fährt fort: „Und es war eine Prophetin, Hanna, die war hoch betagt. Als junge Frau hatte sie sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt. Nun war sie eine Witwe von vierundachtzig Jahren. Sie hielt sich ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten. In diesem Augenblick nun trat sie hinzu und pries Gott...“
So blickt sie auf das Kind, dessen Gesichtchen hell im Licht liegt. Es ist nicht einfach Freude, was sie erfüllt, es ist vielmehr der mühsame Glaube, dass da ein Sinn ist, wo er nicht zu sein schien. Dass da eine Güte über dem Menschenleben ist, auch wo es von Öde und Mühsal eingefasst war.

Hier ist nicht mehr wichtig, woher das Licht kommt. Wichtig ist nur, wo es ist. Es ist über den Menschen, und die Menschen sind in Gott. Sein Licht streift nun auch sie. Und damit ist alles gut.
Was die Nacht hell macht, das ist der Glaube, der von Gottes Licht berührt ist, und alles, was der Mensch dazu tun kann, damit er im Licht bleibt, wird unwesentlich.

„Herr, nun lässt du deine Magd“ – so hören wir Hanna sagen „in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen“, ein Licht, das auch mein Schicksal erleuchtet, zum Trost all der Menschen, die dich auf ihren dunklen Wegen suchen.